zurück

Frankfurter Arbeitsmarktprogramm füllt Lücke der Bundesförderung

(o-ton) Die Stadt Frankfurt hat ein eigenes Arbeitsmarktprogramm aufgelegt und reagiert damit auf die Einsparungen des Bundes. Conrad Skerutsch, Geschäftsführer der Werkstatt Frankfurt, hat an dem kommunalen Arbeitsmarktprogramm mitgearbeitet. Im Interview mit O-Ton Arbeitsmarkt erklärt er dessen Besonderheiten und warum das Programm ein Glücksfall für die Stadt, aber kein Ersatz für die Bundesförderung sein kann.

Der Bund spart, die Länder und Kommunen springen ein. Zumindest in einigen Bundesländern scheint der Trend bei der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik in diese Richtung zu gehen. Denn während der Bund sein Budget für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zwischen 2010 und 2013 von 6,6 auf 3,9 Milliarden Euro reduziert, legen Länder wie das Saarland und Baden-Württemberg eigene Arbeitsmarktprogramme auf. Auch in Frankfurt, wo 30 Millionen Euro Bundesförderung weggebrochen sind, gibt es nun ein kommunales Programm, das einen Teil der Einsparungen des Bundes auffängt. Mit fünf Millionen Euro aus dem städtischen Sozialetat erhöht die Stadt ihre Mittel für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsförderung 2013 auf insgesamt 16 Millionen Euro und schafft damit etwa 1.700 zusätzliche Maßnahmenplätze.

Herr Skerutsch, eigentlich ist die aktive Arbeitsmarktpolitik ja Sache des Bundes. Die Bundesländer und Kommunen können sich freiwillig und ergänzend einbringen. Und das tun sie vermehrt, auch wenn die Haushaltsmittel knapp sind. Ist das Engagement des Bundes nicht (mehr) ausreichend?

Conrad Skerutsch: Nein, ganz selbstverständlich nicht. Das, was noch an Mitteln für die Eingliederungsleistungen zur Verfügung steht, reicht bei Weitem nicht aus. Denn die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in den letzten Jahren weder im Bundesgebiet noch in Frankfurt nennenswert gesunken. Es ist allgemein bekannt, dass etwa ein Viertel der Leistungsbezieher im SGB II („Hartz IV“-System) seit 5 Jahren nicht mehr in Arbeit war. Es besteht also ein hohes Maß an verfestigter Arbeitslosigkeit. Für diese Personen müsste man eigentlich viel mehr Geld in die Hand nehmen, das sagt sogar Herr Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Das sollte auch das Bundesarbeitsministerium wissen, aber es handelt wider besseres Wissen.

Um es ganz drastisch zu formulieren: Hätte die Stadt die kommunalen Mittel der Arbeitsmarktförderung nicht aufgestockt, dann würde es die Werkstatt Frankfurt und die meisten anderen Träger hier gar nicht mehr geben. Mindestens so problematisch wie die Mittelreduzierung ist aber das veränderte Regelwerk der Instrumentenreform, denn damit können keine sinnvollen Maßnahmen mehr durchgeführt werden. Das, was jetzt noch möglich ist, ist völlig kontraproduktiv. Damit kann man langzeitarbeitslosen Menschen nicht adäquat helfen, wieder in den Arbeitsmarkt zu finden.

Was meinen Sie damit?

Das beste Beispiel sind hier die Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“), die zu einer völlig absurden Nummer verkommen sind. Ein Maßnahmenplatz muss im öffentlichen Interesse, wettbewerbsneutral und zusätzlich sein. Unter solchen Bedingungen kann man nur noch Sinnloses tun. Ein Beispiel: Eine Hilfskraft in der Altenpflege darf keine Brötchen schmieren, denn dann würde sie ja Arbeit verrichten, die eigentlich ein regulär Beschäftigter tun würde. Aber sie darf nachher die Butter mit der Gabel verzieren, denn dafür würde eigentlich niemand beschäftigt.

So sehen die Maßnahmen aus, die da noch übrig bleiben. Da findet eigentlich nur noch Beschäftigungstherapie statt. Das ist menschenunwürdig und Geldverschwendung. Und das führt die Menschen nicht wieder auf den Arbeitsmarkt, das führt sie weg davon.

Die beste Rezeptur sind Maßnahmen in einem realistischen Arbeitsumfeld unter marktnahen Bedingungen – ich sage bewusst nicht Marktbedingungen – mit echten Kunden, mit echten Aufträgen, mit echter Arbeit, die auch Ansprüche stellt an den Menschen und wo sie so gut wie möglich durch fachkundige Anleitungskräfte begleitet werden. Aber so etwas gibt es eigentlich nicht mehr im Instrumentenkasten des Bundes.

Aber beim Frankfurter Arbeitsmarktprogramm?

Ja, denn das schönste am Programm sind nicht einmal die finanziellen Mittel, die da eingestellt worden sind, denn das sind logischerweise deutlich weniger, als von Seite des Bundes weggebrochen sind. Aber mit dieser geringeren Summe lässt sich ungleich viel mehr machen, denn das Programm ist befreit von dem unglaublichen Bürokratismus und den Hürden, die die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit mit sich bringen. Hier geht es darum, all das zu tun, was wirkt und sinnvoll ist. Da ist jeder Euro vier- oder fünfmal so viel wert.

Was macht das Frankfurter Programm denn genau anders oder besser?

Zum einen will sich das Frankfurter Arbeitsmarktprogramm nicht nur den Menschen zuwenden, die den Status „arbeitslos“ haben, sondern ist viel breiter ausgerichtet. Im Sinne einer Prävention sollen auch Menschen qualifiziert werden, die in prekärer Beschäftigung sind. Die vielleicht kurz davor stehen, arbeitslos zu werden oder die schon häufig arbeitslos waren und nur zwischenzeitlich kurze Beschäftigungen mit geringem Verdienst hatten. Zur Zielgruppe gehören aber auch erwerbsgeminderte Personen nach dem Sozialgesetzbuch XII, denn auch diese Menschen wollen sinnvolle Beschäftigung und haben wertvolle Potentiale einzubringen. Das Programm richtet sich aber auch an Menschen aus der Stillen Reserve, die in keinem Leistungsbezug stehen, zum Beispiel nach Erziehungszeiten, die aber in den Beruf zurückkehren wollen, oder auch an Asylbewerber.

Wir werden hier völlig rechtskreisunabhängig arbeiten. Das ist außergewöhnlich, ein Novum, aber natürlich vollkommen richtig. Denn die Art und Weise, wie im deutschen Sozialleistungssystem nach Rechtskreisen differenziert wird, ist ein riesen Handicap. Wir haben zum Beispiel schon häufig Anfragen für Weiterqualifizierungen bekommen von Menschen, die in prekärer Beschäftigung standen. Und denen mussten wir dann immer sagen, sie müssen erst mal arbeitslos werden, damit wir ihnen helfen können. Das ist absurd. Das Frankfurter Arbeitsmarktprogramm sorgt dafür, dass die Menschen, die Hilfe auf dem Weg in Arbeit oder bessere Arbeit brauchen, diese auch bekommen. Das ist eine große Befreiung aus dem Kästchendenken des deutschen Sozialleistungssystems.

Eine weitere Besonderheit ist, dass wir individualisierte Lösungen finden wollen. Es soll keine vorgefertigten Maßnahmen geben, die dann relativ willkürlich mit Teilnehmern gefüllt werden. Es gibt auch keine vorgegebenen zeitlichen Fördergrenzen. Auch aus Langzeitarbeitslosen können Fachkräfte werden, wenn man die Qualifizierung längerfristig angeht. Das Frankfurter Arbeitsmarktprogramm ermöglicht es, Menschen auch über einen langen Weg zu helfen. Und es ist freiwillig. Die Menschen kommen in unser Beratungszentrum, wir machen ihnen ein Angebot und das können sie dann annehmen oder das können sie nicht annehmen.

Und was verspricht sich die Stadt davon?

Die Maßnahmen, die mit dem Frankfurter Programm gefördert werden, müssen neben dem Nutzen für die arbeitslosen Menschen auch einen Nutzen für die Kommune entwickeln. Qualifizierung macht im Idealfall aus Arbeitslosen Fachkräfte, die für den Frankfurter Arbeitsmarkt relevant sind. Mit den anderen Maßnahmen sollen Infrastrukturleistungen erbracht werden oder zu einer Stabilisierung der sozialen Siedlungen beigetragen werden. Dieser Doppelnutzen ist auch wichtig für die Akzeptanz des Projektes, denn selbst die reiche Stadt Frankfurt muss derzeit sparen.

Infrastrukturleistungen, Stabilisierung der sozialen Siedlungen und Fachkräfte aufbauen – wie sehen solche Maßnahmen in der Praxis aus?

Zu den Infrastrukturleistungen gehören zum Beispiel bestimmte Reinigungsarbeiten im Stadtteilservice. So etwas darf über die „Ein-Euro-Jobs“ gar nicht mehr gemacht werden. Hier werden vorzugsweise sehr langjährig Arbeitslose beschäftigt, die oft auch eine gesundheitliche Einschränkung haben. Das sind relativ einfache Arbeiten, die aber das Stadtbild verbessern und deshalb eine wichtige Funktion für die Bürgerinnen und Bürger haben. Und sie erhöhen gleichzeitig das Selbstwertgefühl der Teilnehmer.

Zur Stabilisierung der sozialen Siedlungen tragen zum Beispiel die so genannten Siedlungshelfer bei. Das sind Arbeitslose, die Hilfe im Haushalt anbieten, zum Beispiel für ältere Menschen. Sie erledigen Einkäufe, bauen Möbel auf oder nehmen kleine Reparaturen vor.

Weitere Beispiele sind der Verein „berami – berufliche Integration“, der Migrantinnen und Migranten mit pädagogischen Berufserfahrungen aus ihrer früheren Heimat auf eine verkürzte Erzieherausbildung vorbereitet oder die Integrative Drogenhilfe, die Suchtkranken Beschäftigung in der Wäscherei der Drogeneinrichtung Eastside anbietet.

Durch arbeitsmarktorientierte Qualifizierung können aus den Zielgruppen des Frankfurter Arbeitsmarktprogramms auch Fachkräfte entwickelt werden. Hier wird geschaut, in welchen Branchen der Stadt diese Fachkräften fehlen. Das sind zum Beispiel Berufskraftfahrer, das ist der Lebensmitteleinzelhandel, die Logistikbranche, die Gastronomie und die Kinderbetreuung. Wenn wir Mitarbeiter für diese Branchen qualifizieren, stärkt das den Wirtschaftsstandort. Außerdem sind positive Effekte für den Haushalt der Stadt zu erwarten, wenn aus Leistungsbeziehern Menschen mit dauerhafter Beschäftigung und auskömmlichem Verdienst – und damit Steuerzahler – werden.

Das klingt, als sei die Verlagerung der Bundesverantwortung auf regionale Programme ein Glücksfall. Sollte das bundesweit Schule machen?

Nein, denn insgesamt ist das regionale Engagement nur die Folge einer furchtbaren Entwicklung in der Bundesarbeitsmarktpolitik. Der Bund hat es geschafft, den großen Reformansatz von 2004 an die Wand zu fahren. Die Mitarbeiter in den Jobcentern haben inzwischen nur noch die Hälfte bis ein Drittel der Mittel und damit können sie wegen der extremen Bürokratisierung kaum noch etwas Sinnvolles anfangen. Dass die Stadt Frankfurt das inhaltlich umgeht und finanziell einspringt, ist zwar ein Glücksfall, aber nicht jede Stadt kann sich das leisten. Frankfurt ist in einer haushaltspolitisch günstigen Lage. Das kann aber kein bundesweites Vorbild werden. Die Kommunen, bei denen die Kassen leer sind, können da nicht mithalten und bleiben zurück.

Nichtsdestotrotz können wir hier ohne die bürokratischen Hürden der Jobcenter jetzt inhaltlich zeigen, was machbar ist. Ich gebe zu, das ist ehrgeizig, aber ich habe schon den Anspruch, dass wir hier in dem nicht so großen Frankfurt zeigen können, wie man es anders machen kann.

Zum Weiterlesen:

http://www.frap-beratungszentrum.de/

Homepage der Werkstatt Frankfurt