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Jobcenter: Umschichten für eine bessere Betreuung? Klingt plausibel, stimmt aber nicht

Jobcenter bedienen sich zunehmend am Budget für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, um ihre Verwaltungskosten zu decken. Sie begründen das mit höheren Personalkosten für eine intensivere Betreuung der Kunden. Doch die Argumentation hält einer Überprüfung nicht stand.

Die Jobcenter zweckentfremden immer mehr Geld, das eigentlich für die Förderung von Menschen im Hartz-IV-System mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gedacht ist, um ihre Verwaltungskosten zu decken. 2015 haben die Umschichtungen einen erneuten Höchstwert erreicht. Mit rund 606 Millionen Euro wurden 17 Prozent des Eingliederungsetats nicht für den ursprünglichen Zweck genutzt – fast jeder sechste Euro. (O-Ton berichtete)

In einzelnen Jobcentern erreichten die Umschichtungen Ausmaße von bis zu 68 Prozent. Mehr als die Hälfte (241 der 407 Jobcenter) schichteten zehn bis unter 30 Prozent des EGT um. 30 Jobcenter entnahmen mehr als die Hälfte der Mittel aus dem Eingliederungsetat, um damit Verwaltungsausgaben zu finanzieren. Etwa ein Viertel (95 Jobcenter) verwendete 30 bis unter 50 Prozent für ihre Verwaltungskosten. Nur 36 Jobcenter entnahmen weniger als 10 Prozent aus dem Eingliederungstitel, das Jobcenter Wuppertal schichtete als einziges Geld aus dem Verwaltungs- in das Eingliederungsbudget um.

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/8575

Den Vorwurf, an der Förderung der Hartz-IV-Empfänger zu sparen, lassen sich die Jobcenter allerdings nicht gefallen. Ihre reflexartige Begründung lautet: Die Betroffenen profitieren von mehr Geld im Verwaltungsetat, denn so finanziere man mehr Personal und damit eine intensivere und bessere persönliche Betreuung. Doch ist das tatsächlich so? Hier hilft der Blick auf die Betreuungsschlüssel der Jobcenter. Gut ist die Betreuungsrelation, wenn sie den Zielvorgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) nach § 44c SGB II entspricht oder darunter liegt. Für Jugendliche unter 25 Jahren ist ein Verhältnis von einem Betreuer zu 75 Personen vorgesehen, bei Über-25-Jährigen soll ein Betreuer für maximal 150 Personen zuständig sein.

Starke Umschichtung gleich guter Betreuungsschlüssel?

Wenn starke Umschichtungen also tatsächlich zu einer intensiveren Betreuung führen, sollten Jobcenter mit hohen Umschichtungsanteilen Betreuungsschlüssel erreichen, die den Vorgaben der BA entsprechen oder diese übertreffen – oder sich das Verhältnis von Betreuer zu Betreutem dort zumindest verbessert haben. Aber eine Verbindung zwischen den Umschichtungen und den Betreuungsschlüsseln gibt es nicht. Weder haben die Jobcenter mit besonders hohen Umschichtungen besonders gute, noch die Jobcenter mit geringen Umschichtungsanteilen besonders schlechte Betreuungsrelationen.

Beispiel Jobcenter Rottal-Inn, das 2015 zu den zehn stärksten Umschichtern zählte: Dort hat man 65 Prozent des Eingliederungsbudgets in den Verwaltungsetat umgeleitet. Doch weder bei den Unter-25-Jährigen noch bei den Älteren resultierte das in einer besonders guten Betreuungsrelation. Mit einem Verhältnis von 1:146 bei den jüngeren und 1:165 bei den älteren Menschen im Hartz-IV-System wurden die Vorgaben der BA sogar deutlich verfehlt. Auch hat sich das Verhältnis durch die Umschichtungen nicht verbessert. 2014 konnte das Jobcenter bei einem geringeren Umschichtungsanteil von 57 Prozent noch bessere Betreuungsrelationen von 1:76 bei den Unter-25-Jährigen und 1:161 bei den Über-25-Jährigen aufweisen.

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/8575

Und auch die anderen Top-Umschichter weisen keine besonders guten Betreuungsrelationen auf. Fünf von zehn verfehlen die Vorgaben der BA bei den jüngeren Betreuten. Nur zwei (Coburg und Weißenburg-Gunzenhausen) weisen eine besonders gute Relation auf.

Bei den Über-25-Jährigen sieht es etwas anders aus. Hier ist Rottal-Inn das einzige Jobcenter unter den Top-Umschichtern, das die Vorgaben der BA nicht erfüllt. Alle anderen erreichen den vorgegebenen Schlüssel oder können eine bessere Betreuungsrelation vorweisen. Ein Beleg für einen Zusammenhang zwischen hohen Umschichtungsbeträgen und besseren Betreuung der Ü-25-Jährigen ist das aber trotzdem nicht, denn die Jobcenter, die besonders wenig umschichten, weisen ähnliche Betreuungsrelationen auf. Bei geringen Umschichtungsanteilen zwischen zwei und acht Prozent erreichen auch fünf der zehn geringsten Umschichter die Vorgaben der BA oder sogar eine bessere Betreuungsquote.

Guter Betreuungsschlüssel gleich starke Umschichtung?

Und auch umgekehrt sind die Jobcenter mit den besten oder schlechtesten Betreuungsschlüsseln nicht gleichzeitig die, die besonders viel oder besonders wenig umschichten. So weist das Jobcenter Flensburg (Stadt) mit 1:82 die beste Betreuungsrelation Ü25 auf, schichtet aber mit 27 Prozent vergleichsweise moderat um. Das Jobcenter Eichstätt mit der schlechtesten Betreuungsrelation Ü25 von 1:210 hingegen verwendet die Hälfte seiner Eingliederungsmittel für die Verwaltung.

Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/8575

Und so gilt für alle Jobcenter (hier nur die Jobcenter in gemeinsamer Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen. Der Betreuungsschlüssel für die 104 zugelassenen kommunalen Träger liegen nicht vor), was sich sowohl bei den stärksten und geringsten Umschichtern als auch den Jobcentern mit den besten und schlechtesten Betreuungsquoten beobachten lässt: Es gibt keinen statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Umleitung von Fördermitteln für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in den Verwaltungsetat und einer intensiveren Betreuung der Menschen im Hartz-IV-System.

Der Grund für die Umschichtungen scheint wohl tatsächlich ein anderer zu sein, den nur wenige Verantwortliche in den Jobcentern aussprechen. Einer von ihnen ist Bodo Vermaßen, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Mönchengladbach: „Die vom Bund zugestandenen Mittel für den Verwaltungsaufwand reichen einfach nicht mehr aus“, erklärte er der Rheinischen Post. Das Verwaltungsbudget sei seit Jahren nicht an die Entwicklung der Kosten angepasst worden. Der Bund wisse, dass die Jobcenter deshalb zur Umschichtung von Fördermitteln gezwungen seien.

 

 

Zum Weiterlesen:

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/8575

RP Online, Mönchengladbach: Jobcenter wehrt sich gegen Vorwürfe