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Teilhabe durch Arbeit: Evangelische Beschäftigungsbetriebe diskutieren Optionen für Langzeitarbeitslose

(o-ton) Gesellschaftliche Teilhabe für Langzeitarbeitslose durch einen Sozialen Arbeitsmarkt und dessen Finanzierung waren die dominierenden Themen bei der Jahrestagung des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und soziale Integration e.V. (EFAS) gemeinsam mit der Diakonie Deutschland. Beschäftigungsbetriebe sowie Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Interessenvertretungen diskutierten unter der Überschrift „Gerechte Teilhabe an Arbeit als gesellschaftliche und politische Herausforderung“.

Am 6. Juni 2013 fand die jährliche Fachtagung des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und soziale Integration e.V. (EFAS) gemeinsam mit der Diakonie Deutschland statt. Mitglieder des EFAS sowie Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Interessenvertretungen diskutierten in Berlin zum Thema „Gerechte Teilhabe an Arbeit als gesellschaftliche und politische Herausforderung“.

Dominiert wurde die Veranstaltung von der Debatte über einen Sozialen Arbeitsmarkt, auf dem Langzeitarbeitslose mit staatlich (teil)finanzierten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen beschäftigt werden sollen und die Möglichkeit der Finanzierung über den Passiv-Aktiv-Transfer (PAT).

Die evangelischen und diakonischen Träger fordern den Sozialen Arbeitsmarkt bereits seit langem. Sie sprachen sich erneut dafür aus, langzeitarbeitslosen Menschen ohne reelle Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt Teilhabe an der Gesellschaft durch Arbeit zu ermöglichen. In den letzten vier Jahren ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen nur um etwa 7 Prozent gesunken und zuletzt wieder gestiegen. Im Vergleich mit der Kurzzeitarbeitslosigkeit, die im selben Zeitraum deutlich stärker um rund 19 Prozent abnahm, ist das nur eine marginale Entwicklung (O-Ton berichtete).

Dass bei insgesamt guter Lage am Arbeitsmarkt Arbeitslose mit besonders langer Dauer der Arbeitslosigkeit zurückbleiben und vor dem Hintergrund der massiven Einsparungen bei der Arbeitsmarktpolitik zu „Couchkunden“ der Jobcenter werden, sei nicht hinnehmbar, fasste Marc Hentschke, Vorsitzender des EFAS zusammen. „Wir müssen Arbeit so gestalten, dass sie für Menschen machbar ist.“

Arbeitsmarktpolitische Vertreter der Parteien zum Sozialen Arbeitsmarkt

Auch bei der Politik ist das Problembewusstsein für besonders arbeitsmarktferne Menschen in letzter Zeit gewachsen. Das zeigen Anträge und Gesetzentwürfe von SPD und Grünen im Bundestag (O-Ton berichtete) und zwei Bundesratsinitiativen (O-Ton berichtete). Stehtischgespräche und eine Podiumsdiskussion mit den arbeitsmarktpolitischen Vertretern der Bundestagsfraktionen Katja Mast (SPD), Sabine Zimmermann (Die Linke), Brigitte Pothmer (Grüne) und Johannes Vogel (FDP) boten daher Gelegenheit zum fachlichen Austausch.

Dabei sprachen sich alle Vertreter grundsätzlich dafür aus, sich der Gruppe der Langzeitarbeitslosen verstärkt zuzuwenden. Auch Johannes Vogel von der FDP betonte die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen. Der Ansatz sei grundsätzlich wichtig, das Problem läge aber bei der Finanzierung und der Akzeptanz der Unternehmen. Daher hielt er ein Pilotprojekt für sinnvoll, denn das würde Unternehmen „role models“ bieten. Zusätzlich müsse man den Haushaltverantwortlichen im Bundestag beweisen, dass man es hier mit keiner „aus dem Ruder laufenden Dauerförderung“ zu tun habe.

Brigitte Pothmer unterstrich den Willen der Grünen, einen Sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen. Hinsichtlich der Finanzierung sagte sie: „Der soziale Arbeitsmarkt der Grünen ist sehr teuer.“ Es sei klar, dass der Passiv-Aktiv-Transfer nicht ausreiche und gegenfinanziert werden müsse. Dazu gehöre auch, den Eingliederungstitel anzuheben.

Katja Mast machte deutlich, dass die SPD eine sehr enge Auswahl der Teilnehmer für unabdingbar hält. „Wir brauchen einen Sozialen Arbeitsmarkt für die, die ganz am Rande des Arbeitsmarktes stehen, nicht mehr und nicht weniger.“ Man wolle niemanden „20 Jahre im Sozialen Arbeitsmarkt festhalten und ihn auch nicht 20 Jahre lang zu 75 Prozent fördern“. Außerdem betonte sie die notwendige Unterstützung durch die Sozialpartner. Der Antrag der SPD sei daher in engem Schulterschluss mit dem DGB erarbeitet worden.

Sabine Zimmermann verdeutlichte, dass die Linke einen etwas anderen Ansatz verfolge. Sie plädierte für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor nach Berliner Vorbild. Zimmermann sagte: „Es gibt etwa eine Million Langzeitarbeitslose aber darunter nur etwa 100.000 bis 200.000 extrem schwer Vermittelbare. Unseren öffentlich geförderten Beschäftigungssektor soll es für die übrigen 800.000 geben.“

Der geladene CDU-Vertreter Karl Schiewerling erschien nicht zur Fachtagung. Die CDU/CSU-Fraktion steht den Bemühungen um einen Sozialen Arbeitsmarkt grundsätzlich ablehnend gegenüber.

Vertreter der Wissenschaft zum Sozialen Arbeitsmarkt

Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz resümierte in seinem abschließenden Vortrag „Öffentlich geförderte Beschäftigung als notwendiges Moment für gerechte Teilhabe an Arbeit“ die Diskussion des Fachtages. Er hielt die Sorgen der Arbeitgeber, ein Sozialer Arbeitsmarkt könne wettbewerbsverzerrend wirken, für unbegründet. „Wir haben über 40 Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Bei schätzungsweise um die 200.000 Menschen, die für einen Sozialen Arbeitsmarkt infrage kommen, ist die Verzerrung doch wirklich relativ“, sagte Sell.

Auch dem Vorwurf, der Soziale Arbeitsmarkt sei lediglich ein weiteres Aufstocker-Modell nahm er den Wind aus den Segeln. Sicherlich könne man hier von einer Aufstockersystematik sprechen, den zentralen Unterschied mache aber die Zielgruppe. Der Vollzeitbeschäftigte, der zusätzlich „Hartz IV-Leistungen“ beziehe, habe nichts gemein mit den extrem arbeitsmarktfernen Personen, die auf dem Sozialen Arbeitsmarkt beschäftigt werden sollten, weil sie ansonsten null Chancen auf Arbeit hätten.

Weiterhin machte Sell deutlich, dass die Orientierung Richtung ersten Arbeitsmarkt eine zentrale Bedingung des Sozialen Arbeitsmarktes sein müsse. „Dass jemand per se für sein Leben lang nicht mehr in Arbeit vermittelbar ist, das muss man erst beweisen.“

In ihren Auftaktvorträgen widmete sich zudem Professor Dr. Martin Kronauer von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin dem Thema Erwerbsarbeit und soziale Ausgrenzung in der gespaltenen Gesellschaft. „Arbeitsmarktpolitik muss zur Gesellschaftspolitik hin geöffnet werden“, unterstrich er in seinem Vortrag. Professor Dr. Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschland analysierte zudem in seinem Beitrag „Was Not tut -Teilhabe an Erwerbsarbeit als Auftrag protestantischer Sozialethik“, was Martin Luther heute zum Thema Integration durch Arbeit sagen würde.

Problembewusstsein für Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft schwindet

In einer Podiumsdiskussion positionierten sich zudem Maria Loheide aus dem Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, Dr. Kolja Rudzio, Journalist der Zeit, Professor Dr. Michael Vester i.R. von der Leibniz Universität Hannover, Dr. Nico Fickinger vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall und Berhard Jirku von ver.di zum Thema „Wer hat welche gesellschaftliche, ethische und politische Verantwortung“.

Kolja Rudzio sprach von einer Verschiebung der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Sorge um die Arbeitslosen sei immer mehr zurückgegangen. Stattdessen ginge es mehr um die Qualität der Arbeit. Michael Vester unterstrich dies. Besonders die oberen Schichten interessierten sich kaum für das Thema Langzeitarbeitslosigkeit.

Maria Lohheide betonte die integrative Wirkung von Arbeit und den Arbeitswillen, den Langzeitarbeitslose weiterhin haben. Berhard Jirku sprach von den besonderen Fähigkeiten, die auch Langzeitarbeitslose hätten. Deshalb müsse das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen erhöht werden, insbesondere bei den sozialen Dienstleistungen. Nico Fickinger hielt den PAT für unsinnig. Die Gewinne für die Langzeitarbeitslosen stünden in keinem Verhältnis zu den Kosten für die öffentliche Hand.

Zum Weiterlesen:

http://efas.htw-berlin.de/?page_id=27