3. Juni 2014
(o-ton) Nordrhein-Westfalen fördert Langzeitarbeitslose mit dem landeseigenen Arbeitsmarktprogramm „Öffentlich geförderte Beschäftigung“. Menschen, die keinen regulären Arbeitsplatz finden, arbeiten zwei Jahre lang sozialversicherungspflichtig bei öffentlichen oder gemeinnützigen Trägern. 75 Prozent des Lohnes finanzieren die Jobcenter. Einer der Träger ist die HAZ Arbeit + Zukunft in Hattingen. Hier sind Margret Schuster* und Jessica Wagner* beschäftigt.
*Namen von der Redaktion geändert
Seit Januar 2013 fördert Nordrhein-Westfalen Langzeitarbeitslose mit dem landeseigenen Arbeitsmarktprogramm „Öffentlich geförderte Beschäftigung“. Verteilt auf 44 Projekte gibt es aktuell 1.070 sozialversicherungspflichtige Einfach-Arbeitsplätze bei öffentlichen oder gemeinnützigen Trägern. Zusätzlich erhalten die Teilnehmer ein intensives Coaching. Land und Kommunen lassen sich das Programm insgesamt rund 37 Millionen Euro kosten. Besetzt werden die Arbeitsplätze von Langzeitarbeitslosen mit so genannten Vermittlungshemmnissen, die den „unmittelbaren Zugang zu regulärer Beschäftigung verhindern, die aber mittelfristiges Potential auf dem ersten Arbeitsmarkt haben“.
„Wir haben diese Zielgruppen, die sehr weit vom Markt entfernt sind und die wir maximal über sehr lange Integrationsfortschritte, möglicherweise über Förderketten, in den ersten Arbeitsmarkt bringen können“, fasst Peter Jäger, Geschäftsführer der Grundsicherung bei der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen die Zielgruppe des Programms zusammen. Laut der G.I.B NRW, die das Programm fachlich begleitet, wird diese Zielgruppe auch erreicht. Die Beschäftigten im Modellprojekt ögB wiesen mehrere schwerwiegende Vermittlungshemmnisse auf und könnten daher als besonders arbeitsmarktfern bezeichnet werden. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liege bei mehr als sechs Jahren, heißt es in einer Analyse der Gesellschaft.
Vermittlungshemmnisse Sucht, Straffälligkeit, Krankheit…
Auf Margret Schuster (55) und Jessica Wagner (45) trifft diese Definition zu. Sie hat das örtliche Jobcenter gemeinsam mit dem Träger für die Förderung ausgewählt, weil sie mehr als drei Vermittlungshemmnisse aufweisen. Beide nehmen auf eigenen Wunsch teil. Ihre Hauptvermittlungshemmnisse sind eine überwundene Drogensucht und Straffälligkeit. Bei Jessica kommt noch eine Hepatitis-Erkrankung hinzu. Für die Frauen ist die aktuelle nur eine von mehreren Maßnahmen, die sie beim HAZ bereits durchlaufen und dabei langsam Fortschritte erzielten. Der geregelte Tagesablauf und die psychologische Unterstützung beim Träger hat beiden Frauen Stabilität gegeben und den Rückfall in die Drogensucht verhindert.
„Wenn man viel Zeit hat zu Hause zu sitzen und hat nichts zu tun, dann geht man wieder raus, trifft die falschen Leute, das geht vielleicht ein halbes Jahr gut und dann ist man wieder rückfällig. Deshalb bin ich froh, hier zu sein“, sagt Jessica. Die 45-Jährige startete ihre Drogenkarriere mit 16 Jahren. „Kiffen, Heroin, Kokain… alles quer durch die Bank habe ich genommen“, sagt sie. „Durch die Drogen bin ich dann auch klauen gegangen. Irgendwann waren das dann auch keine Kleinigkeiten mehr. Dann habe ich neun Monate auf drei Jahre bekommen.“
Inzwischen ist Jessica clean. Seit drei Jahren nimmt sie an einem Polamidon-Programm zur Substitution des Heroins teil. Im HAZ arbeitet sie sechs Stunden täglich. Das wäre nicht von Anfang an möglich gewesen, erklärt Daniela Goldermann, die für das Coaching der Teilnehmer zuständig ist, den langen Weg von Jessica. Zu Anfang sei sie auch durch die Hepatitis-Erkrankung so sehr geschwächt gewesen, dass sie sich immer wieder ausruhen musste und nie lange am Stück arbeiten konnte.
Bei solchen Lebensgeschichten dauere es eben länger, bis die Menschen soweit sind, dass sie auch am ersten Arbeitsmarkt unterkommen könnten, erklärt Claudia Wiemann, die die Beschäftigungsförderung des HAZ leitet. „Die Teilnahme am NRW-Modellprogramm bieten wir denjenigen an, die sich stabilisiert und bewährt haben. Und wenn sie dann nochmal eine Förderung über einen längeren Zeitraum bekommen, ist auch der Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt realistischer.“ Bei Frau Schuster und Frau Wagner sei da durchaus Potential, auch wenn sie noch den geschützten Raum der geförderten Beschäftigung bräuchten.
„Ohne Arbeit geht sowieso nix bei mir!“
„Ich werde in meinem ganzen Leben nichts mehr tun, was man nicht machen sollte“, sagt Jessica, „aber mit meinem Hintergrund ist es schwer, Arbeit zu finden.“ Auch Margret Schuster schätzt ihre Chancen auf reguläre Arbeit gering ein. Im Dezember endet ihr Vertrag beim HAZ. Sie sorgt sich, wie es danach weitergeht, denn im dörflichen Hattingen kenne ja jeder jeden und alle wüssten von ihrer kriminellen Vergangenheit. Dabei sei die Arbeit für sie sehr wichtig. Auch im Gefängnis habe sie jede Beschäftigung angenommen. „Ohne Arbeit geht sowieso nix bei mir!“, sagt sie.
Und die Arbeit, die die Teilnehmer am Modellprogramm leisten, kommt einem regulären Arbeitsplatz recht nahe. Denn im Gegensatz zu den Ein-Euro-Jobs müssen die Arbeitsplätze nicht wettbewerbsneutral sein, dürfen also mit marktwirtschaftlich arbeitenden Unternehmen konkurrieren. Außerdem erhalten die Beschäftigten einen tariflichen beziehungsweise ortsüblichen Lohn, den das Jobcenter im Ennepe-Ruhr-Kreis zu 75 Prozent aus Eingliederungsmitteln finanziert. Zusätzlich fließen Mittel aus den eingesparten Kosten der Unterkunft. Für Margret ein Stück gefühlte Unabhängigkeit. Dass sie jetzt eigenes Geld verdiene und davon unter anderem auch die Miete trage, sei schon ein anderes Gefühl. „Auch wenn im Endeffekt kaum mehr übrig bleibt, als wenn wir nicht arbeiten würden“, ergänzt Jessica.
Landesprogramm fängt Sparmaßnahmen der Regierung teilweise auf
Auch für Claudia Wiemann vom HAZ ist das NRW-Landesprogramm ein kleiner Lichtblick. Zumindest einen Teil der durch die Sparmaßnahmen des Bundes weggebrochenen Maßnahmen fängt es auf. Zudem geht es deutlich über die übrigen Fördermöglichkeiten des Bundes hinaus, denn die Teilnehmer können mit bis zu zwei Jahren und einer potentiellen Verlängerung um weitere zwei Jahre deutlich länger und durch die begleitenden Coachings auch sehr viel intensiver gefördert werden. Das sei das Besondere des Programms, erklärt Peter Jäger von der Regionaldirektion NRW.
Dennoch ist nach der inzwischen fast anderthalbjährigen Laufzeit noch nicht klar, wie es weitergeht. „Noch haben wir keine Entscheidungslage, ob das Modellprojekt verlängert wird“, so Jäger. Wenn die zwei oder auch vier Jahre vorbei sind und die Geförderten auch weiterhin nicht in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln sind, gehen sie wieder in den normalen Förderprozess. Frau Wiemann hält daher einen Sozialen Arbeitsmarkt für dringend notwendig. „Bei vielen Teilnehmern muss man leider sagen, das wird nichts mehr. Die werden niemals wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommen“, resümiert sie. Bei anderen seien aber auch die extrem kurzen Förderdauern und die Pausen dazwischen das größte Problem. „Wir haben sie aufgebaut und dann müssen wir sie wieder gehen lassen. Wenn sie dann Monate später wiederkommen, fangen wir teils ganz von vorne an. Teilweise geht es ihnen dann sogar schlechter.“ Eine längerfristige Förderung wäre hier extrem hilfreich.
Auch für Peter Jäger ist das ein Thema: „Im Extremfall kommt man dann immer zu der Frage, bräuchte man nicht eine dauerhafte Förderung im Sinne eines sozialen Arbeitsmarktes“, sagt er. Grundsätzlich ist er allerdings skeptisch. Er befürchtet, dass Menschen dauerhaft in einer Förderung festgehalten werden, obwohl sie wieder Chancen am regulären Arbeitsmarkt hätten. Sollte ein Sozialen Arbeitsmarkt entstehen, sei es daher immens wichtig, die richtige Zielgruppe auszuwählen und auch während der Förderung die Ausrichtung auf den ersten Arbeitsmarkt nicht zu verlieren.
Zum Weiterlesen:
Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Öffentlich geförderte Beschäftigung in NRW
Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, NRW geht erfolgreich neue Wege bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen
Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH, Modellprojekt „Öffentlich geförderte Beschäftigung“, in: G.I.B. Info 1_14, S. 108f.