19. Oktober 2018
Rund ein Viertel der knapp 4,26 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger geht einer Erwerbstätigkeit nach. Bei der anschließenden Frage nach dem Ausmaß der Erwerbsarmut gibt es allerdings unterschiedliche Meinungen.
Knapp 1,11 Millionen Erwerbstätige im Hartz-IV-Bezug zählte die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) im März 2018. Während einige das Indiz für ausufernde Erwerbsarmut werten, wehren sich andere Stellen, wie zum Beispiel das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln vehement gegen diese Lesart der Statistik. Wer hat also recht?
Die BA-Statistik der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfänger (erwerbsfähige Leistungsberechtigte) zeigt, dass mit einem Anteil von über einem Drittel Teilzeitbeschäftigte die größte Gruppe unter den Aufstockern ausmachen. Für sie dürfte eher der Beschäftigungsumfang denn unzureichende Löhne der Grund für das Aufstocken mit Hartz IV sein. Mit 17,2 Prozent geht hingegen nur ein geringer Anteil der Aufstocker einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung nach. Dazu zählen auch knapp 60.000 Auszubildende, die 5,2 Prozent an allen Aufstockern ausmachen. In Bezug auf die knapp 4,26 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger reichte demnach lediglich für 3,1 Prozent von ihnen das Einkommen aus einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung (ohne Auszubildende) nicht zur Existenzsicherung aus.
190.000 Vollzeit-Aufstocker im März 2018
Einerseits gibt diese Einsicht den Skeptikern der Erwerbsarmut zunächst recht. Betrachtet man die 190.000 Vollzeit-Aufstocker (inkl. Auszubildende) im Verhältnis zu den knapp 23,51 Millionen Vollzeitbeschäftigten, liegt ihr Anteil sogar unter einem Prozent. Absolut betrachtet muss jedoch konstatiert werden, dass trotz der guten Arbeitsmarktentwicklung und trotz des gesetzlichen Mindestlohns für über 130.000 Vollzeitbeschäftigte, die sich nicht in Ausbildung befinden, das Einkommen nicht zum Leben ausreicht.
Dazu kommt, dass bei weitem nicht alle Personen, die einen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen hätten, diesen auch einlösen (O-Ton berichtete). Studien gehen davon aus, dass zwischen 34 und 50 Prozent der Menschen, die eigentlich Hartz-IV-Leistungen beziehen könnten, auf ihren Anspruch verzichten. Unter den Erwerbstätigen sind es Schätzungen zufolge sogar bis zu zwei Drittel der Anspruchsberechtigten. Die BA-Statistik über Aufstocker bildet das Ausmaß der Erwerbsarmut in Deutschland also nur äußerst lückenhaft ab. Außerdem gibt es mehrere Millionen Vollzeitbeschäftigte, die mit ihrem Einkommen knapp über der Hartz-IV-Bedarfsgrenze liegen, bei der eindimensionalen Fokussierung auf das Aufstocken mit Hartz IV aber folglich ausgeblendet werden, wie zum Beispiel auch Sozialwissenschaftler Stefan Sell, Hochschule Koblenz kritisiert.
Ein Drittel der Aufstocker sind „Minijobber“
Bei der Debatte um die Hartz-IV-Aufstocker dürfen zuletzt die knapp 360.000 ausschließlich geringfügig Beschäftigten („Minijobber“) nicht unerwähnt bleiben. Die BA weist in ihrem Glossar darauf hin, dass in diesen Fällen allerdings „eher das Arbeitslosengeld II durch Erwerbseinkommen ergänzt und der Leistungsanspruch verringert“ wird als umgekehrt. Das Einkommen aus einem Minijob, das bei maximal 450 Euro liegt, ist für Hartz-IV-Bezieher bis zu einer Höhe von maximal 170 Euro anrechnungsfrei, darüber liegende Beträge werden von der Regelleistung abgezogen.
Zum Weiterlesen:
Schäfer, Holger, Viel weniger Vollzeit Aufstocker als gedacht, in: IW-Nachrichten, 31.01.2014.