zurück

Bundesregierung hält an geschönter Statistik zu Langzeitarbeitslosen und Über-58-Jährigen fest

(o-ton) Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit macht aus Langzeitarbeitslosen Kurzzeitarbeitslose, wenn sie zum Beispiel an einem Ein-Euro-Job teilnehmen. Über-58-Jährige zählen zudem als nicht arbeitslos, wenn die Jobcenter sie nicht mehr vermitteln. Die Grünen haben die statistischen Schummeleien hinterfragt – und erhalten ausweichende Antworten von der Bundesregierung.

Weder die offizielle Arbeitslosen- noch die Langzeitarbeitslosenzahl enthält alle betroffenen Personen ohne Arbeit. Denn wer arbeitslos beziehungsweise langzeitarbeitslos ist, ist gesetzlich definiert und daher politisch steuerbar. Und so filtert die Bundesagentur für Arbeit (BA) Monat für Monat Personen aus der Arbeitslosenstatistik und führt sie in der separaten Unterbeschäftigungsstatistik, in der sie rein statistisch nicht als arbeitslos gelten, obwohl sie es tatsächlich sind (O-Ton berichtete).

Ein Beispiel der nur statistisch nicht Arbeitslosen sind Über-58-Jährige, die seit mehr als 12 Monaten kein Stellenangebot mehr von ihrem zuständigen Vermittler im Jobcenter erhalten haben. Warum das so ist, hat sich nun die Fraktion der Grünen im Bundestag von der Regierung erklären lassen. Die Antwort ist ausweichend und erhärtet den Vorwurf der statistischen Kosmetik.

Als arbeitslos im Sinne der Statistik gilt nur, wer eine versicherungspflichtige Beschäftigung sucht und dabei den Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung steht. Bei Arbeitslosen über 58 Jahren, die ein Jahr lang kein Angebot einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erhalten haben, könne angenommen werden, dass ihre Integrationschancen eingeschränkt bleiben und sie nicht mehr alle Möglichkeiten nutzen können, ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. „Sie stehen damit zwar nicht erklärtermaßen, aber faktisch der Arbeitsvermittlung nur begrenzt zur Verfügung“, heißt es in der Antwort auf die kleine Anfrage der Grünen.

Mit anderen Worten: Ist der zuständige Vermittler im Jobcenter bei einem Arbeitslosen, der älter als 58 Jahre ist, der Meinung, dieser hat keine Chancen mehr auf Arbeit und gibt daher seine Vermittlung auf, ist der Betroffene nicht mehr verfügbar und damit auch nicht arbeitslos – völlig unabhängig davon, ob er weiterhin auf Arbeitsuche ist oder nicht.

Insgesamt 165.500 Menschen betraf diese statistische Regelung im Juli 2015. Sie muss man zu den 359.000 offiziellen Arbeitslosen der Altersgruppe hinzu rechnen. Tatsächlich waren also im Juli rund 524.500 Über-58-Jährige arbeitslos. Jeder Dritte von ihnen fiel damit aus der Arbeitslosenstatistik, nur weil das Jobcenter seine Vermittlung aufgegeben hat.

Schädliche Unterbrechungen machen aus Langzeit- wieder Kurzzeitarbeitslose

Ein anderes Beispiel einer mit statistischen Definitionen nach unten korrigierten Arbeitsmarktzahl ist die Langzeitarbeitslosigkeit. Denn wenn Langzeitarbeitslose an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme von mehr als sechs Wochen teilnehmen, zum Beispiel einem Ein-Euro-Job oder einer Weiterbildung, werden sie danach wieder als Kurzzeitarbeitslose gezählt, obwohl sie in der Zwischenzeit weder Arbeit gefunden noch den Arbeitslosengeldbezug beendet haben (O-Ton berichtete).

Die Bundesregierung erklärt das ebenfalls mit der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt. Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wären „wegen der umfangreichen zeitlichen Einbindung“ in dieser Zeit nicht verfügbar und daher eben auch nicht arbeitslos – auch wenn sich für den Betroffenen nichts an seiner Situation ändert, er weiterhin ohne Arbeit ist und Hartz-IV-Leistungen bezieht.

Tatsächlich ist die Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme aber immer nachrangig gegenüber der Vermittlung in Arbeit. Die Jobcenter haben auch während der Maßnahme sicherzustellen, dass die Teilnehmer „durchgehend in den Vermittlungsprozess einbezogen werden…“. Sie erhalten also weiterhin Vermittlungsvorschläge und müssen die Maßnahme bei erfolgreicher Bewerbung abbrechen – und stehen dem Arbeitsmarkt damit sehr wohl zur Verfügung.

Für die Bundesregierung ist dennoch gerechtfertigt, die Person sowohl während der Maßnahme nicht zu den Arbeitslosen zu zählen, als auch nach der Maßnahme so zu tun, als wäre der Langzeitarbeitslose gerade erst arbeitslos geworden. „Soweit die Arbeitslosigkeit aufgrund des Beginns einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme unterbrochen wird, ist es nach Auffassung der Bundesregierung gerechtfertigt, dass aufgrund der dauerhaften Einschränkung der Verfügbarkeit die Dauermessung nicht fortgeführt wird, es sich also um eine sogenannte schädliche Unterbrechung der Arbeitslosigkeit handelt“, heißt es in der Antwort auf die kleine Anfrage der Grünen.

Und so kommt die Statistik der BA zu 37 Prozent Langzeitarbeitslosen in Deutschland – mehr als jeder Dritte aller Arbeitslosen, während gemäß OECD, die Arbeitslosigkeit nach dem Konzept der International Labour Organization (ILO) misst und keine „schädlichen Unterbrechungen“ kennt, nahezu jeder zweite Arbeitslose (44 Prozent) in Deutschland langzeitarbeitslos ist (O-Ton berichtete).

Einen Grund, die Erfassungsmethode der Arbeitslosen- und Langzeitarbeitslosenzahl zu ändern, sieht die Bundesregierung jedoch nicht.

Zum Weiterlesen:

Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Grünen, Statistische Erfassung der Langzeitarbeitslosigkeit (Drucksache 18/5757)

Bundesagentur für Arbeit, SGB II Fachliche Hinweise Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach §16d SGB II