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Hartz-IV-Reform: Anhörung im Bundestag

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Mit dem Rechtsvereinfachungs-gesetz will die Bundesregierung Bürokratie im Hartz-IV-System abbauen. Die Opposition kritisiert die geplanten Reformen als vertane Chance. Bei einer Anhörung im Bundestag nahmen Sachverständige Stellung. Die Mehrheit sieht weiterhin Reformbedarf.  

Sachverständige äußerten sich am heutigen Montag, den 30. Mai im Ausschuss für Arbeit und Soziales zu den geplanten Gesetzesänderungen im Hartz-IV-System (Rechtsvereinfachungsgesetz). Auch zwei Anträge der Oppositionsparteien waren Gegenstand der Anhörung. Zuvor von der Bundesregierung an die Fraktionen von CDU/CSU und SPD versandte „Formulierungshilfen“ für weitere Änderungen am Gesetzentwurf hingegen, die den Oppositionsfraktionen offiziell nicht vorlagen, sollten zunächst nicht behandelt werden. Gleich zu Beginn musste die Sitzung daher zur Klärung unterbrochen werden.

„Rechtsvereinfachung bleibt Dauerprojekt“

Die Sachverständigen waren sich weitestgehend einig, dass die Rechtsvereinfachung mit dem aktuell vorliegenden Änderungsentwurf nicht abgeschlossen sein könne. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sorge insgesamt für keine wesentliche Entlastung der Jobcenter.

So begrüßte Dr. Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag zwar Teile der Reform wie den verlängerten Bewilligungszeitraum, äußerte sich aber unzufrieden mit dem Endergebnis. „Die Rechtsvereinfachung bleibt ein Dauerprojekt“, resümierte er. Zahlreiche Reformpläne führten zu einem verwalterischen Mehraufwand in den Jobcentern. Er bedauerte besonders, dass der Entwurf keine Bagatellgrenzen bei Rückforderungen durch die Jobcenter enthalte und auch die verschärften Sanktionsregeln für Jugendliche unangetastet blieben. Mehrere Sachverständige unterstützten das Unverständnis über die Beibehaltung dieser Sanktionspraxis. Darunter Dr. Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband. Sie merkte an, dass die Sanktionierung junger Leistungsempfänger ein „äußerst konfliktträchtiges Verfahren“ sei, in dessen Folge viele Jugendliche komplett aus dem System fallen würden.

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) hingegen verteidigte die Sanktionsregeln. Deren Abschaffung würde dem Prinzip des Fördern und Forderns widersprechen und würden die Hilfebedürftigen in der Regel nicht überfordern, so Dr. Anna Robra. Insgesamt sah Robra allerdings ebenfalls Raum für Verbesserungen. Auch sie sprach sich für eine stärkere Pauschalisierung der Leistungen und die Einführung einer Bagatellgrenze aus, um aufwändige Erstattungsbescheide auch bei Kleinstbeträgen zu vermeiden. Positiv bewertete sie die Verlängerung des Bewilligungszeitraums für den Bezug von Hartz-IV-Leistungen von sechs auf zwölf Monate. Hier sei allerdings fraglich, inwieweit dies tatsächlich zu einer Entlastung der Jobcenter führe, denn vielfach sei dies bereits heute gängige Praxis.

Eva Strobel von der Bundesagentur für Arbeit (BA) sprach sich für eine Flexibilisierung der Auswahlkriterien für Arbeitsgelegenheiten (AGH) aus, begrüßte aber die Pläne, die Teilnahme an den so genannten Ein-Euro-Jobs für besonders arbeitsmarktferne Menschen zu verlängern. Das im Gesetzentwurf genannte Auswahlkriterium eines durchgängigen Leistungsbezugs in den letzten neun von zehn Jahre betreffe 1,1 Millionen Leistungsempfänger im erwerbsfähigen Alter.

„Mehrkosten statt Kostenabbau“

Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz äußerte ehebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Gesetzentwurfs. Die berechneten Einsparungen seien minimal, während neue, verkomplizierende Tatbestände geschaffen würden, die zu zusätzlichem Aufwand in den Jobcentern führten. Er rechnet deshalb mit Mehrkosten statt Kostenabbau.

Dazu zähle besonders das tageweise Splitting des Sozialgelds für Kinder von getrennt lebenden, hilfebedürftigen Eltern. Der aktuelle Entwurf legt fest, dass ein minderjähriges Kind, das sich wechselweise in beiden Haushalten der getrennt lebenden Eltern aufhält, als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft beiden Haushalten für den gesamten Monat angehört. Der Regelsatz des Kindes soll entsprechend der Gesamtzahl der Anwesenheitstage im jeweiligen Haushalt aufgeteilt werden. Diese Regelung würde zum einen eine deutliche Verschlechterung der ohnehin schon meist prekären finanziellen Situation Alleinerziehender führen und zum anderen einen  enormen Mehraufwand in den Jobcentern bedeuten. Die Lösung wäre ein Unterhaltsmehrbedarf für den Partner, bei dem das Kind weniger Zeit verbringt. Das Geld wäre hier sinnvoller verwendet als für die Verwaltung der komplizierten tageweisen Berechnung, so Sell.

Frank Jäger vom Erwerbslosenverein Tacheles e. V. nannte die geplanten Änderungen beim Sozialgeld für Kinder „bürokratischen Irrsinn“. Bisher gebe es eine tageweise Abrechnung des Regelsatzes bei Alleinerziehenden nur, wenn beide Elternteile hilfebedürftig seien. Durch die Ausdehnung dieser Methode auch auf Elternpaare, in den nur ein Elternteil Leistungen bezieht, werde die Zahl der Fälle deutlich steigen. Diese Änderungen bei den sogenannten „temporären Bedarfsgemeinschaften“ wurden von mehreren Sachverständigen sehr kritisch gesehen.

Zum Weiterlesen:

Bundesregierung, Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Rechtsvereinfachung

Deutscher Bundestag, Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 30. Mai 2016 zum Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch  – Rechtsvereinfachung