zurück

„Leiharbeit verhindern, begrenzen und gestalten“

(o-ton) O-Ton Arbeitsmarkt im Interview mit dem IG Metall-Gewerkschaftssekretär Ali Yener (Verwaltungsstelle Koblenz) zum Thema Leiharbeit.

Herr Yener, wie würden Sie die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Leiharbeit beurteilen?

Früher ging es nach der Ausbildung in die unbefristete Übernahme. Personen über 40 kennen noch die alte Ordnung am Arbeitsmarkt. Durch den ganzen Deregulierungswahn der letzten Jahre ist viel zu Ungunsten der Arbeitnehmer entschieden worden. Mit der Agenda 2010 sollte die Arbeitslosigkeit halbiert werden. Dazu gehörte auch die Deregulierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Mit dem Ziel, Leiharbeit mit normaler Beschäftigung gleichsetzen zu wollen, wurden das Synchronisationsverbot und viele weitere Hürden abgeschafft. Es gab dann viele schwarze Schafe, wie die christlichen Gewerkschaften, die eigene Tarifverträge für den Leiharbeitsbereich abgeschlossen haben, die weit unter dem branchenüblichen Lohn lagen.

Wie sieht es denn mit der gewerkschaftlichen Organisation in der Leiharbeit aus?

Gewerkschaften haben ihre Handlungsfähigkeit erstens durch viele Mitglieder, zweitens durch aktive Mitglieder und drittens durch eine aktionsorientierte Teilhabe. Das bedeutet, wir brauchen über die Mitglieder- und Betriebsstruktur Betriebsräte und Vertrauensleute, die letztendlich auch für ihre Rechte mit uns gemeinsam einstehen.

Wo begegnet Ihnen Leiharbeit hier in der Region Koblenz?

Leiharbeit gibt es natürlich auch in der Region Koblenz. Sie gehört auch hier zur betrieblichen Strategie. Die Wahrnehmung, die wir haben ist, dass im Betrieb eine zweite Lohnlinie als Billigstrategie eingezogen wird. Neben der Billigstrategie sind die Leiharbeiter dann auch die ersten, denen man sich bei einer Krise direkt wieder entledigen kann.

Vielfach wird von verschiedenen Klassen von Mitarbeitern gesprochen, was beobachten Sie?

Für unsere Region würde ich drei Stufen skizzieren: Zuerst Stammbeschäftigte. Dann befristet Beschäftigte, die häufig in prekären Arbeitsverhältnissen sind und deswegen keine Forderungen stellen und immer die Befürchtung haben, mein Vertrag wird nicht verlängert. Und dann noch eine dritte Stufe der Leiharbeitnehmer. Im Einzelfall existiert noch eine vierte Stufe mit Minijobs und auch mit Werkverträgen.

Wer sind die Leiharbeiter?

In der Regel sind das qualifizierte Leute, die als Facharbeiter in der Produktion eingesetzt werden. Im Schwerpunkt sind Migranten davon betroffen. Leiharbeit ist zudem für viele Migranten ein Integrationshemmnis. Arbeit zu haben ist das eine, aber der Wert und die Qualität der Arbeit spielen eine wesentliche Rolle bei der Integration und das ist in der Leiharbeit nicht gegeben.

Leiharbeit als Einstieg ins Arbeitsleben für Arbeitslose und der „Klebeeffekt“ im Entleihbetrieb werden immer wieder als Argumente für die Leiharbeit angeführt. Wie beurteilen Sie diese Effekte?

Im Kern haben wir das analysiert. Nur zehn Prozent der neu eingestellten Leiharbeiter waren vorher Langzeitarbeitslose. Zum Klebeeffekt gibt es vom IAB eine Studie. Das IAB spricht davon, dass circa 15 Prozent der Leiharbeiter im Betrieb verbleiben. Also jeder siebte/jeder achte Leiharbeiter profitiert letztendlich von diesem Klebeeffekt. Für mich ist das kein hoher Wert für den Anspruch, den man an die Leiharbeit stellt.

Die Leiharbeit wird immer wieder als Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Die Zahl der Leiharbeiter nimmt kontinuierlich zu. Ist die Leiharbeit wirklich der Motor?

Der Beschäftigungsaufbau findet nicht in der Leiharbeit statt, sondern in den Betrieben, also den Entleihbetrieben in Handel und Industrie. Mit dem Ziel der Personalflexibilisierung bedient man sich bei den Leiharbeitsunternehmen. Und die tun dann so, als wenn sie es wären, die die Arbeitsplätze schaffen. Die Arbeitsplätze schaffen aber die Betriebe.

Wird die Leiharbeit nicht durch „equal pay“ und „equal treatment“ normalisiert, also an die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft angepasst?

Für mich ist wichtig, dass wenn zwei Menschen die gleiche Arbeit tun, sie auch den gleichen Lohn bekommen. Der Stundenlohn für den Helfer in der Metall- und Elektroindustrie liegt zurzeit bei 13 bis 14 Euro. Für einen Leiharbeiter müssen bei „equal pay“ kalkulatorisch noch die Verwaltungskosten aufgeschlagen werden, die an die Leiharbeitsunternehmen gehen. Im Verhältnis zur Stammbelegschaft wird die Leiharbeit verteuert. Es müssen dann kalkulatorisch höhere Werte angelegt werden. Warum sollen Unternehmen auf die Leiharbeit zurückgreifen, wenn sie mit eigenen Leuten die gleiche Arbeit günstiger bewerkstelligen können? Außer bei Produktionsspitzen von zwei oder vier Wochen, was ich dann verstehen könnte. Für die Zeit baut man kein Personal auf, sondern greift auf die Flexibilisierungsinstrumente zurück.

Gibt es eigentlich auch eine gute Leiharbeit? Unter welchen Bedingungen könnten sie mit Leiharbeit leben?

An der Stelle bin ich Realist und ich weiß, dass wir mit Leiharbeit leben müssen und sie deshalb strategisch neu ordnen sollten. Schritt eins für uns ist deshalb verhindern. In vielen Betrieben haben wir das geschafft. Schritt zwei wäre, wenn ich es nicht verhindern kann, begrenzen. Wenn ich Leiharbeit begrenzt habe, muss ich sie im dritten Schritt gestalten. Leiharbeit verhindern, begrenzen und gestalten, so wollen wir mit dem Instrument umgehen.

Wie würde das Gestalten im Idealfall für Sie aussehen?

Wir haben gute Beispiele, auch hier aus der Region, wie wir die Leiharbeit gestaltet haben. Angefangen von „equal pay“-Vereinbarungen bis zur maximalen Einsatzdauer. Nach meiner persönlichen Einschätzung braucht man ein durchlässiges System. Das bedeutet, Leiharbeit darf nur vorübergehend stattfinden, was auch die Rechtslage sagt. „Vorübergehend“ sollte einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten nicht überschreiten. Dann stellt sich die Frage, welche Perspektiven vermittle ich? Ich muss den Leiharbeitern doch sagen dürfen, dass wenn sie bei uns anfangen, dann sind sie maximal drei Monate Leiharbeiter, dann sind sie maximal ein Jahr befristet beschäftigt und dann kommen sie in die Stammbelegschaft. Das wäre doch eine Perspektive. Aber wir haben es erlebt, dass Menschen fünf bis sieben Jahre in demselben Einsatzbetrieb in der Leiharbeit gesteckt haben.

In der Leiharbeit gibt es ja mittlerweile einen Mindestlohn. Sind sie eigentlich zufrieden damit?

Wie soll man mit 7,89 Euro zufrieden sein? Es war der einzige Schutz vor Dumpinglöhnen aus dem EU-Ausland. So wurde eine untere Lohnlinie gezogen, damit es nicht zu einem Unterbietungswettbewerb kommt. Dafür ist er eigentlich gedacht gewesen. Ich bleibe dabei, gleicher Lohn für gleiche Arbeit.