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Teilhabe und Qualifizierung: Evangelische Beschäftigungsbetriebe diskutieren über sozialen Arbeitsmarkt

amnews-2-300x190Wie können Langzeitarbeitslose Menschen langfristig in den Arbeitsmarkt integriert werden und wie kann die berufliche Zukunft von Beschäftigten abgesichert werden? Mit diesen Fragen und möglichen Antworten beschäftigten sich Vertreter aus Verbänden, Wissenschaft und Politik bei der Jahrestagung des EFAS unter dem Titel „MEHR Teilhabe am Arbeitsmarkt“.

Auf dem jährlichen Fachtag des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und Soziale Integration e.V. (EFAS) in Potsdam tauschten sich am 19. September Vertreter aus Verbänden, Wissenschaft, Politik und Bildungs- und Beschäftigungsbetrieben über den sozialen Arbeitsmarkt in Deutschland aus. Unter dem Titel „MEHR Teilhabe am Arbeitsmarkt durch: Marktnahe Tätigkeiten, Qualifizierung, Erfolgsmessung und –darstellung“ wurde aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert, wie sich soziale Teilhabe, Beschäftigung und Qualifizierung mit öffentlicher Förderung und an einem sozialen Arbeitsmarkt realisieren lassen.

Besondere Bedeutung kam dabei einer ersten Bilanz der seit Januar wirksamen Gesetze Teilhabechancengesetz (THCG) und Qualifizierungschancengesetz (QCG) zu. Marc Hentschke, Vorstandsvorsitzender des EFAS, mahnte an, dass die bislang erreichten Erfolge der Gesetze auch langfristig gesichert werden müssten und verwies in diesem Zusammenhang auf die befristete Laufzeit des Teilhabechancengesetzes bis zunächst 2024.

Vorträge vom BMAS und IAB

Maren Pelzner, Mitarbeiterin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), lieferte den Einstieg in den Fachtag mit einer Präsentation über den aktuellen Umsetzungsstand der Instrumente des THCG. Aus Sicht des Arbeitsministeriums sind beide Instrumente, die Teilhabe am Arbeitsmarkt (TaAM) und die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen (EVL) erfolgreich angelaufen. So waren im August 2019 laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) knapp 30.000 Menschen in Deutschland einen durch das THCG geförderten Arbeitsplatz beschäftigt gewesen. Pelzner merkte jedoch kritisch an, dass aus Sicht des BMAS bislang zu wenige Frauen in den Förderungen vertreten waren und die BA hierbei nachsteuern müsste.

Während sich die Berichterstattung des BMAS über die Umsetzung bislang auf eine Auswertung der BA-Statistik beschränkt, hat die Forschungseinrichtung der BA, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), den Auftrag erhalten, eine langfristige Evaluation der neuen Instrumente aus dem THCG zu liefern. Dr. Markus Gottwald und Dr. Claudia Globisch vom IAB stellten auf dem Fachtag ihren Forschungsauftrag, den Ablauf der Evalutation und die von ihnen verwendete Methodik vor.

Sie betonten dabei, dass neben einer Betrachtung der Instrumente unter materiellen Gesichtspunkten auch die Auswirkungen der Förderungen auf die soziale Teilhabe der Geförderten untersucht würde. Gleichzeitig sei ihnen bewusst, dass ihre Forschungsergebnisse auch von politischem Interesse sind und voraussichtlich als Argumentationsgrundlage für oder gegen eine Entfristung des THCG genutzt werden.

Berichte aus der Praxis von Bildungs- und Beschäftigungsunternehmen

Eine wesentliche Neuerung durch das THCG war Thema des Vortrags von Anne Katrin Koch und Elena Böttger vom Netz-Werk e.V. Mittweida. Koch, Geschäftsführerin, und Böttger, Mitarbeiterin, stellten die Textilmanufaktur „Piet Rosso“ als Praxisbeispiel für eine marktnahe öffentlich geförderte Beschäftigung vor. Für Beschäftigungen im Rahmen des THCG entfallen die Kriterien der Zusätzlichkeit und der Markneutralität, die beispielsweise für sogenannte „Ein-Euro-Jobs“ gelten.

Koch plädierte dafür, dass Beschäftigungsunternehmen diese Möglichkeit als Chance wahrnehmen und ihre Perspektiven und Einsatzfelder erweitern. Für Beschäftigte biete sich hier die Gelegenheit, durch das Ausüben von sinnvollen Tätigkeiten berufliche Erfolge zu erleben, sich zu stabilisieren und den Weg zurück auf den Arbeitsmarkt zu finden. Gleichzeitig müssten sich die Beschäftigungsbetriebe darüber bewusst sein, dass der Aufbau neuer Beschäftigungsstrukturen mit einem erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwand verbunden ist, der nur teilweise durch öffentliche Förderungen gedeckt werde.

Perspektiven zur Aus- und Weiterbildung

Zusätzlich zur Teilhabe an Beschäftigung wurde auch die Teilhabe an Weiterbildung und Qualifizierung diskutiert. Marina Sliwinski vom Internationalen Bund stellte zunächst die Neuerungen durch das QCG vor. Als Vertreterin eines Freien Trägers der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit bewertete sie positiv, dass das QCG den Personenkreis vergrößert, der theoretisch eine Förderung einer beruflichen Weiterbildung oder Qualifizierung erhalten kann. Das QCG zielt darauf ab, dass mehr Beschäftigten und Arbeitslosen eine Förderung der Aus- und Weiterbildung zukommt. Aus der Sicht von Sliwinski sei aber nach wie vor problematisch, dass für diese Förderungen ein erheblicher bürokratischer Aufwand unternommen werden muss und sie dadurch für Unternehmen unattraktiv werden.

Unterschiedliche Einschätzungen über den „richtigen“ Weg, eine berufliche Qualifikation zu erreichen gaben Christof Räuschel von der Diakonie Michaelshoven, Dr. Birgit Auerbach vom bbw Bildungswerk der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg e.V. und Maria Kronemann vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Räuschel und Auerbach stellten zunächst verschiedene Modelle von modularen beruflichen Teilqualifizierungen als niederschwelligen Einstieg zur Aus- und Weiterbildung vor. Kronemann stand diesem Angebot hingegen kritisch gegenüber. Ihrer Einschätzung nach seien derartige Bildungswege für Beschäftigte und Arbeitgeber im Handwerk nicht realisierbar. Grund dafür sei die Betriebsstruktur im Handwerk: Die meist kleinen Betriebe mit wenigen Beschäftigten seien nicht auf die Durchführung von Teilqualifizierungen ausgelegt. Stattdessen sprach sich Kronemann für eine Stärkung der vollqualifizierenden dualen Berufsausbildung aus.

von Lena Becher


Zum Weiterlesen:

Website der Diakonie Deutschland

Website des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und Soziale Integration e.V.