27. November 2019
Obwohl das Bundesverfassungsgericht Hartz-IV-Sanktionen von mehr als 30 Prozent der Sozialleistung für verfassungswidrig erklärt hat, sollen auch in Zukunft Kürzungen oberhalb dieser Grenze möglich sein. Das geht aus einem Entwurf der überarbeiteten fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor.
Mit seinem Urteil am 5. November 2011 hat das Bundesverfassungsgericht einen Teil der Sanktionen im Hartz-IV-System für verfassungswidrig erklärt. Kürzungen gegenüber über 25-Jähringen von mehr als 30 Prozent der Sozialleistung bei Verletzungen der Mitwirkungspflicht sind laut Urteil nicht verfassungsgemäß. Doch aus einem nun einsehbaren Entwurf für neue fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) geht hervor, dass die Behörde auch in Zukunft Leistungskürzungen über eine Höhe von 30 Prozent hinaus plant.
Verschiedene Sanktionen werden addiert
Entscheidend dabei ist folgendes Detail: Zwar sind laut Urteil Leistungskürzungen über einer Höhe von 30 Prozent nicht zulässig, allerdings beziehen sich das Urteil ausschließlich auf Kürzungen auf Pflichtverletzungen nach §31 SGB II. Laut BA-Entwurf sollen diese Kürzungen mit einer maximalen Höhe von 30 Prozent jedoch gleichzeitig mit Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen nach §32 SGB II verhängt werden können. Damit würden die addierten Sanktionen die als gerade noch verfassungsgemäß beurteilte Höhe von 30 Prozent übersteigen. Meldeversäumnisse von Leistungsberechtigten werden mit einer Kürzung der Hartz-IV-Leistungen um je zehn Prozent für drei Monate geahndet, wobei mehrere Meldeversäumnisse zu mehreren parallel wirksamen Sanktionen führen können.
Dass der Fall von Kürzungen über 30 Prozent eintritt, ist angesichts der vergangenen Sanktionspraxis in den Jobcentern sehr wahrscheinlich, sofern der vorliegende Entwurf in seiner aktuellen Fassung verabschiedet wird. So verhängten die Jobcenter im Jahr 2018 knapp 904.000 Sanktionen, von denen drei Viertel auf Meldeversäumnisse und ein Viertel auf Pflichtverletzungen entfielen. Nach dem Urteil ist lediglich ausgeschlossen, dass nach drei aufeinander folgenden Pflichtverletzungen die Sanktionen um 30, dann um 60 und schließlich zu 100 Prozent („Vollsanktion“) gekürzt werden. Aus den Weisungen geht zudem hervor, dass diese Regelungen auch für unter 25-Jährige im Hartz-IV-Bezug angewendet werden, obwohl diese nicht Gegenstand der Verhandlung waren.
Erweiterter Ermessenspielraum in den Weisungen
Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfen in Härtefällen Sanktionen auch unterhalb der Höhe von 30 Prozent nicht verhängt werden. Darüber hinaus müssen die Kürzungen beendet werden, sobald die sanktionierte Person ihre Bereitschaft zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht „ernsthaft und nachhaltig“ erklärt. Diese Inhalte des Urteils setzt die BA in ihrem Entwurf der fachlichen Weisungen um. Die BA plant hierzu, die Rechtsfolgebelehrungen in den Eingliederungsvereinbarungen zu überarbeiten. Allerdings soll bei Sanktionen, die aufgrund von Meldeversäumnissen verhängt wurden, das Vorliegen eines Härtefalls erst dann geprüft werden, wenn die addierten Sanktionen eine Höhe von 30 Prozent übersteigen. Auch muss erst dann die nachträgliche Erfüllung der Mitwirkungspflicht geprüft werden.
von Lena Becher
Zum Weiterlesen:
O-Ton Arbeitsmarkt, Urteil: Hartz-IV-Sanktionen sind zum Teil verfassungswidrig, 05.11.2019.