28. August 2013
(o-ton) „Lediglich 23 Prozent der Hartz-IV-Bezieher haben 2012 einen neuen Arbeitsplatz gefunden.“ Das meldeten die Bild-Zeitung und zahlreiche weitere Medien kürzlich. Sie beriefen sich dabei auf Daten der Bundesagentur für Arbeit, die die Linksfraktion angefordert hatte. Das eigentliche Problem ist aber noch weitaus größer. Im Monatsdurchschnitt finden nur 0,3 Prozent der „Hartz IV“-Empfänger eine Arbeit, die ihre Hilfebedürftigkeit beendet.
Die Bild-Zeitung und andere Medien beziehen sich in ihrer Berichterstattung auf die Daten zu Abgängen aus Arbeitslosigkeit im „Hartz IV“-System. 2012 beendeten „Hartz IV“-Empfänger rund 4,5 Millionen mal ihre Arbeitslosigkeit. Davon etwa eine Million Mal beziehungsweise zu 23 Prozent durch die Aufnahme einer Arbeit. Die übrigen Fälle verteilten sich auf Ausbildung, Nichterwerbstätigkeit und sonstige Maßnahmen oder Gründe. Anders ausgedrückt: Die in den Medien berichteten 23 Prozent beziehen sich nur auf die Fälle, in denen „Hartz IV“-Empfänger im gesamten Verlauf des Jahres 2012 ihre Arbeitslosigkeit beendet haben, nicht aber auf die Gesamtzahl der „Hartz IV“-Empfänger.
Keinesfalls bedeutet das also, dass ein Viertel aller „Hartz IV“-Empfänger 2012 Arbeit fand. Denn mit allen „Hartz IV“-Empfängern wurde hier gar nicht gerechnet. Der Wert bezieht sich ausschließlich auf die Fälle – und nicht die Personen – in denen ein Abgang aus Arbeitslosigkeit gelang. Denn grundsätzlich ist es möglich, dass ein und dieselbe Person mehrmals pro Jahr eine Arbeit findet. Außen vor blieben zudem all die Personen im „Hartz IV“-System, denen es nicht gelang, ihre Arbeitslosigkeit zu beenden – die große Mehrheit.
Hinzu kommt: Zu den Abgängen in Erwerbstätigkeit zählt die Bundesagentur für Arbeit (BA) auch Beschäftigung am zweiten Arbeitsmarkt, zum Beispiel über einen „Ein-Euro-Job“. Diese „unechte“ Erwerbstätigkeit herausgerechnet, summiert sich der Anteil der Abgänge in Erwerbstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt auf nur noch 16 Prozent aller Abgänge aus Arbeitslosigkeit im Jahr 2012.
2012 fanden monatsdurchschnittlich nur 3,2 Prozent der „Hartz IV“-Empfänger Arbeit
Aussagen darüber, wie viel Prozent der „Hartz IV“-Empfänger im Jahr 2012 Arbeit gefunden haben, kann man gar nicht machen. Was aber möglich ist: Den monatlichen Anteil der „Hartz IV“-Empfänger auszuweisen, der in Arbeit gekommen ist. Die so genannte Abgangsrate in Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt gibt Auskunft über die monatliche Wahrscheinlichkeit, dass ein „Hartz IV“-Empfänger Arbeit findet. Im Jahr 2012 lag sie bei lediglich 3,2 Prozent. (Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland, Monatsbericht Dezember und Jahr 2012, S.50).
Bei diesen 3,2 Prozent ist aber unklar, ob durch den neuen Arbeitsplatz auch der „Hartz IV“-Bezug beendet wurde. Denn zu den Abgängen in Arbeit zählt die Bundesagentur für Arbeit auch Jobs, bei denen die betreffende Person so wenig verdient, dass sie weiterhin „Hartz IV“-Leistungen beziehen muss („Aufstocker“).
Nur 0,3 Prozent der „Hartz IV“-Empfänger finden Arbeit, die den Hilfebezug beendet
Wie viele „Hartz IV“-Empfänger monatlich durch Arbeit ihre Hilfebedürftigkeit beenden, geht aus einem Methodenbericht der Bundesagentur für Arbeit hervor (Übergänge von Arbeitslosen und erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, S.19ff.).
Hier zeigt sich: Nur zwei Prozent der Hartz IV-Empfänger gelingt es monatlich, ihren Hilfebezug durch Arbeit zu beenden. 1,7 Prozent von ihnen hatten bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, aus der heraus sie den „Hartz IV“-Bezug beenden konnten (beispielsweise durch Erhöhung der Wochenarbeitsstunden). Aber nur 0,3 Prozent fanden eine neue Arbeit, die sie auch aus der Hilfebedürftigkeit befreite. Weitere 1,7 Prozent fanden zwar eine Arbeit, blieben aber weiterhin abhängig von „Hartz IV“-Leistungen, weil das Gehalt nicht für den eigenen Lebensunterhalt beziehungsweise für den der Familie reichte. Die Daten betrachten den Zeitraum zwischen Juli 2010 und Juni 2011. Aktuellere Werte sind nicht verfügbar.
Aber selbst wenn „Hartz IV“-Empfänger eine bedarfsdeckende Arbeit finden, ist diese häufig nicht von Dauer. Meist fallen sie sehr schnell zurück in den Hilfebezug. So musste ein Viertel (25,4 Prozent) der Personen, die den Leistungsbezug 2012 beendeten, innerhalb von drei Monaten wieder „Hartz IV“-Leistungen beantragen. (Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Juli 2013, S.29).
Kaum Bewusstsein für die massiven Arbeitsmarktprobleme von „Hartz IV“-Empfängern
Professor Stefan Sell vom Institut für Bildungs- und Sozialpolitik (ibus) der Hochschule Koblenz hierzu: „Es ist alarmierend, dass nur 0,3 Prozent der „Hartz IV“-Empfänger monatlich eine existenzsichernde Arbeit finden. Was wir hier wieder sehen müssen, ist eine beunruhigende Verfestigung der Hilfebedürftigkeit vieler erwerbsfähiger „Hartz IV“-Empfänger, die teilweise über Jahre im Hilfebezug einzementiert sind. Offensichtlich wird in vielen Medien und weiten Teilen der Bevölkerung angenommen, die Arbeitssuche fällt „Hartz IV“-Empfängern aktuell sehr viel leichter. Ein Bewusstsein für die massiven Arbeitsmarktprobleme Langzeitarbeitsloser ist in Deutschland so gut wie nicht mehr vorhanden.“
Zum Weiterlesen:
Bundesagentur für Arbeit, Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Juli 2013, S.29