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Wie die Jobcenter gegen Sozialmissbrauch im Hartz-IV-System vorgehen

amnews-2-300x190120.000 Fälle von Sozialmissbrauch wurden nach Angaben der Bundesregierung im Jahr 2017 von den Jobcentern festgestellt. Der verursachte Schaden lag bei rund 54 Millionen Euro. Für Antragsstellende und die knapp sechs Millionen Bezieher der Sozialleistung sind die Prüfungen und Ermittlungen der Jobcenter hingegen ein Eingriff in ihre Privatsphäre.

Im Januar 2019 erhielten knapp sechs Millionen Menschen in Deutschland Hartz-IV-Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Einen Anspruch auf die Sozialleistung hat nur, wer nach den Maßstäben des SGB II hilfebedürftig ist. Antragsstellende müssen daher ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse offenlegen. Übersteigen diese einen bestimmten Wert, können sie die Leistung nicht (mehr) beziehen. Machen Antragsstellende falsche oder unwahre Angaben, um Hartz-IV-Leistungen zu erhalten, ist das ein Fall von strafbarem Sozialmissbrauch.

Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2017 knapp 120.000 Fälle von Sozialmissbrauch in den Jobcentern festgestellt. Diese Zahl bezieht sich ausschließlich auf Jobcenter in gemeinsamer Einrichtung (gE) der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Kommunen und wurde in einer Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag vorgelegt. Durch automatisierten Datenabgleich der Jobcenter mit anderen Einrichtungen wie zum Beispiel Versicherungsträgern und Finanzämtern wurde im Jahr 2017 ein Schaden von 54 Mio. Euro aufgedeckt.

Von Datenabgleich bis zu Hausbesuchen

Um diese Fälle von Sozialmissbrauch aufzudecken, haben die Jobcenter verschiedene Möglichkeiten. So überprüfen die Jobcenter die Arbeitsverträge von Angestellten und können bei Selbstständigen Betriebsbesuche durchführen. Übersetzte Dokumente, die von Antragsstellenden vorgelegt werden, können gegebenenfalls von eingekauften Übersetzungsdiensten geprüft werden. Auch Mietverträge werden beispielsweise in Koordination mit dem Grundbuchamt darauf untersucht, ob es sich um ein Scheinmietverhältnis handelt. Zuletzt haben einige Jobcenter einen eigenen Ermittlungsdienst, der zum Beispiel Hausbesuche oder Befragungen von Dritten durchführen kann. Diese werden vor allem dann vorgenommen, wenn das Jobcenter die Angaben über den Haushalt der Antragsstellenden anzweifelt.

Für die Überprüfung der Hilfebedürftigkeit wird nämlich nicht nur die einzelne antragstellende Person, sondern ihre gesamte Bedarfsgemeinschaft einschließlich (Ehe-)Partner und Kinder berücksichtigt. Der Ermittlungsdienst darf die Wohnung von Antragsstellenden oder Leistungsberechtigten jedoch nur mit der Zustimmung der Wohnungsinhaber betreten. Nach Angaben der Bundesregierung gibt es keine Statistik darüber, wie oft derartige Kontrollen durchgeführt werden. Bundesweit gibt es in den Jobcentern (gE) aber über 500 Vollzeitplanstellen die sich dezidiert mit der Aufdeckung von Sozialmissbrauch befassen.

Regionale Konzentration von Sozialmissbrauch vs. Generalverdacht

Medial erfährt das Thema Sozialmissbrauch immer wieder punktuell Aufmerksamkeit, zumeist wenn es um vermeintlich organisierte, bandenmäßige Kriminalität geht. Hierzu hat laut Antwort der Bundesregierung das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine Umfrage bei den gemeinsamen Einrichtungen durchgeführt. Diese ergab, dass Jobcenter (gE) im Jahr 2017 4.400 derartige Fälle dokumentierten. Diese traten vor allem in Großstädten und Ballungsgebieten auf. Das IAB schätzt den dadurch entstandenen Schaden auf ca. 50 Millionen Euro.Dass sich der Großteil der Fälle regional konzentriert, wird auch daran deutlich, dass 2017 lediglich zwölf Jobcenter (gE) mehr als 100 Missbrauchsfälle meldeten, während im Zuständigkeitsbereich von 220 Jobcentern (gE) keine Fälle von Sozialmissbrauch dokumentiert wurden. In 39 Jobcentern (gE) wurden maximal zehn Fälle gemeldet.

Viele Antragsstellende und Empfänger von Hartz-IV-Leistungen empfinden die Kontrollen des Jobcenters hingegen als Gängelung und schwerwiegenden Eingriff in ihre Privatsphäre. Laut der Antwort der Bundesregierung gibt es keine „Missbrauchsquoten“ für Fälle von Leistungsmissbrauch. Der festgestellte Schaden von 54 Millionen Euro im Jahr 2017 ist im Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Bundes im SGB II noch relativ gering. Diese lagen laut Statistik der BA bei 44,99 Milliarden Euro. Auch aufgrund der vergleichsweise geringen Fallzahlen ist davon auszugehen, dass Sozialmissbrauch nur vereinzelt auftritt.  



Zum Weiterlesen:

Leistungsmissbrauch im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch II, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pascal Kober, Michael Theurer, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, 30.10.2018, BT-Drs. 19/4649.

Bundesagentur für Arbeit, Ausgaben für aktive und passive Leistungen im SGB II – Deutschland, West/Ost, Länder und Jobcenter (Jahreszahlen), Dezember 2017.