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Zukunft der Arbeit: Evangelische Beschäftigungsbetriebe diskutieren Teilhabe für Arbeitslose

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Anstehende Herausforderungen der Arbeitsmarktpolitik und die gesellschaftliche Teilhabe für Langzeitarbeitslose waren die dominierenden Themen bei der Jahrestagung des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und soziale Integration e.V. (EFAS) gemeinsam mit der Diakonie Deutschland. Beschäftigungsbetriebe sowie Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Interessenvertretungen diskutierten unter der Überschrift „Zukunft der Arbeitsmarktpolitik und ihre Bedeutung für demokratische Teilhabe“.


Am 22. Juni 2017 fand in Berlin die jährliche Fachtagung des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und soziale Integration e.V. (EFAS) gemeinsam mit der Diakonie Deutschland statt. Mitglieder des EFAS sowie Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Interessenvertretungen diskutierten in Berlin zum Thema „Zukunft der Arbeitsmarktpolitik und ihre Bedeutung für demokratische Teilhabe“.

Im Fokus der Tagung stand die Debatte um Teilhabe (Langzeit-)Arbeitsloser an demokratischen Entscheidungsprozessen. Hierbei wurden besonders in der ersten Hälfte des Tages zukünftige Herausforderungen vor dem Hintergrund einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt diskutiert. So wurde thematisiert, welche Auswirkungen ein digitalisierter Arbeitsmarkt auf die Beschäftigungsperspektiven und Arbeitslosigkeit in Deutschland haben könnte und inwiefern Arbeit daher noch als reine Existenzsicherung denn als gesellschaftliche Teilhabe betrachtet werden kann.

Die freien Träger der evangelischen Kirche und der Diakonie betonten dabei die enorme soziale Dimension der Teilhabe am Arbeitsleben. Sie sprachen sich erneut dafür aus, dass Arbeitslose und gerade Langzeitarbeitslose nicht nur einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten müssen, sondern auch wieder stärker in demokratischen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden müssen. Trotz einem anhaltenden statistischen Rückgang der Arbeitslosigkeit sei es nicht hinnehmbar, dass Langzeitarbeitslose von den positiven Entwicklungen am deutschen Arbeitsmarkt ausgeschlossen blieben, so der Tenor der Anwesenden. Marc Hentschke, Vorsitzender des EFAS, wies erneut darauf hin, dass die niedrige Arbeitslosenquote verschleiert, dass mittlerweile über 3,6 Millionen Menschen ohne Arbeit sind und gerade Langzeitarbeitslose wieder mehr in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt werden müssen (O-Ton berichtete).

Vertreter der Wissenschaft zur Zukunft der Arbeitswelt und gesellschaftlicher Teilhabe

Prof. Dr. Gunter Dueck, Philosoph und Mathematiker, warnte im Kontext der Digitalisierung der Arbeitswelt vor einer Re-Industrialisierung der Erwerbsarbeit: Er beklagte, dass Politik und Wirtschaft angesichts der sich verändernden Berufsbilder zu wenig auf einen menschenwürdigen Umgang mit den Arbeitskräften setzen würden. Stattdessen bestünde die Gefahr einer zunehmenden Prekarisierung und Dequalifizierung von ganzen Berufsfeldern. Er mahnte an, dass z.B. im Bereich der Pflege weniger auf eine Arbeitsteilung zwischen Mensch und Robotik, als vielmehr auf eine Stärkung der zwischenmenschlichen Komponente gesetzt werden müsste.

Auch Philippe Lorenz von der Stiftung Neue Verantwortung sieht die Arbeitswelt in Folge der Digitalisierung mit neuen Aufgaben konfrontiert. Er argumentierte, dass mittel- und langfristig eine Zunahme von Arbeitslosigkeit in den Berufsfeldern entstehen wird, in denen menschliche durch maschinelle Arbeitskraft ersetzbar ist. Daher diskutierte er als eine Lösung das bedingungslose Grundeinkommen als Möglichkeit, Erwerbsarbeit von finanzieller Sicherheit zu entkoppeln.

Dass ein langfristiger Ausschluss von Erwerbsarbeit für die Betroffen alle Lebensbereiche negativ beeinflusst, wurde eindrucksvoll von Jan Velimsky und Andreas Rammig, Forum Denkfabrik, dargestellt. Jan Velimsky stellte Ergebnisse der in Kürze erscheinenden Studie „Demokratie ohne Langzeitarbeitslose?“ vor. In dieser Studie wurden langzeitarbeitslose Nichtwähler von ebenfalls Langzeitarbeitslosen Projektteilnehmern zum Motiv ihrer Wahlabstinenz befragt. Die vorliegenden Zwischenergebnisse belegen, dass Langzeitarbeitslose sich gesellschaftlich ausgeschlossen und von politischen Eliten ignoriert fühlen. Dies läge auch daran, dass sie in den Jahren ihrer Arbeitslosigkeit keine spürbare Verbesserung ihrer Situation, unabhängig von Regierungswechseln, erfahren.

Arbeitsmarktpolitische Vertreterin der Grünen zur Teilhabe Langzeitarbeitsloser

Brigitte Pothmer, MdB, von Bündnis 90/Die Grünen nahm als einzige Vertreterin einer Bundestagsfraktion an der abschließenden Diskussionsrunde teil. Dies kann als Indiz für mangelndes politisches Interesse interpretiert werden. Neben ihr waren Vertreter aus Wissenschaft (Philippe Lorenz, Stiftung Neue Verantwortung), Wohlfahrt (Barbara Eschen, Diakonie und Nationale Armutskonferenz) und Wirtschaft (Dr. Jupp Zenzen, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) beteiligt. Brigitte Pothmer konstatierte treffend: „Erwerbsarbeit bestimmt die Stellung, die ein Individuum in unserer Gesellschaft hat.“

Die Diskussion schöpfte aus einer Vielzahl von Meinungen und Einschätzungen der Teilnehmer, die zuvor in einem Workshop unter dem Titel „Zukunftswerkstatt: Ansätze zur Beteiligung von Randgruppen an gesellschaftlichen Prozessen“ gesammelt worden waren. Teilnehmer der Jahrestagung kritisierten u.a., dass Langzeitarbeitslosigkeit eine sich selbst verstärkende Problematik sei und somit Personen langfristig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen würden. Daraus resultiere eine fehlende Einbindung in soziale und politische Gesellschaftsprozesse.

Unklare Zukunft der öffentlich geförderten Beschäftigung

Als mögliche Lösungen wurde eine Schaffung von Begegnungsformaten für Langzeitarbeitslose seitens der Freien Wohlfahrtsträger aber auch ein Umdenken von Politik, Verwaltung und Wirtschaft diskutiert. So wurde die Forderung laut, die Betreuung und Vermittlung (Langzeit-)Arbeitsloser müsse individueller, lokaler und effizienter gestaltet werden und ebenfalls mehr Flexibilität im Förderprozess schaffen. Barbara Eschen plädierte für mehr Bewusstsein in der Armutsproblematik, schließlich sei diese „kein individuelles, sondern strukturelles Problem.“

Auch die Rolle von öffentlich geförderter Beschäftigung wurde in der Diskussionsrunde erörtert. Dr. Jupp Zenzen sprach sich als Vertreter der Arbeitgeberseite dafür aus, dass Förderungen immer nur einen Schritt auf dem Weg zum ungeförderten Ersten Arbeitsmarkt darstellen können. Dahingegen glaubt Brigitte Pothmer weiterhin an eine Ausweitung öffentlich geförderter Beschäftigung im Sinne einer Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Einig waren sich jedoch alle Diskussionsteilnehmer bei einer Sache: Teilhabe an Arbeit, Demokratie und Gesellschaft soll für alle Menschen in Deutschland möglich sein – unabhängig von ihrem Erwerbsstatus.

von Lena Becher

 

 

Zum Weiterlesen:

Diakonie Deutschland

Evangelischer Fachverband für Arbeit und Soziale Integration