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Diskriminierung im Jobcenter: Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf

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Bei der Frage nach Diskriminierungserfahrungen auf Ämtern und Behörden wurden Jobcenter und Arbeitsagenturen in einer repräsentativen Umfrage am häufigsten genannt. Trotzdem hält die Bundesregierung die existierenden Antidiskriminierungsmaßnahmen für ausreichend. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag hervor.

In Jobcentern und Arbeitsagenturen müssen ratsuchende „Kunden“ bei Der Beantragung von Leistungen und in der Arbeitsvermittlung zahlreiche persönliche Informationen offenlegen. Jobcenter und Arbeitsagenturen sind daher aus Sicht der Forschung an Schnittstellen angesiedelt, die anfällig für diskriminierendes Verhalten sind. Da in diesen Behörden existenzielle Leistungen bewilligt und abgelehnt werden müssen, sollte der Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, gesundheitlichen Einschränkungen, Alter und weiteren Merkmalen höchsten Stellenwert haben.

Trotzdem zeigte ein Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADB) erst 2017 auf, dass in den Einrichtungen erhebliche Defizite beim Schutz vor Diskriminierung bestehen. In einer Repräsentativbefragung im Jahr 2015 wurden Jobcenter und Arbeitsagenturen bei der Frage nach Diskriminierungserfahrungen auf Ämtern und Behörden sogar am häufigsten genannt. Eine Empfehlung der ADB zur Verbesserung der Antidiskriminierungsmaßnahmen war die Einrichtung einer unabhängigen und neutralen Beratungsstelle, bei der Kunden ihre Erfahrungen melden können.

Existierende Maßnahmen nach Ansicht der Bundesregierung ausreichend

Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zu Diskriminierung in Jobcentern bewertet die Bundesregierung jedoch existierende Regelungen als ausreichend. Neue Maßnahmen wie beispielsweise die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle seien nicht geplant. Zu den bereits bestehenden Maßnahmen zur Antidiskriminierung zählen das Diversity Management der Bundesagentur für Arbeit (BA), bei dem unter anderem Mitarbeitende intern geschult werden, oder das Kundenreaktionsmanagement, das Beschwerden, Kritik und Lob aufnehmen und bearbeiten soll.

Die Abgeordneten der Linksfraktion stehen der Bewertung der Bundesregierung allerdings kritisch gegenüber. In einer der Fragen benennt die Linksfraktion mit Verweis auf den Bericht des ABD das Risiko, dass „eingereichte Beschwerden vom lokalen, internen Beschwerdemanagement pauschal zurückgewiesen werden, z. B. aus Solidarität unter Kolleginnen und Kollegen“. Laut Antwort der Bundesregierung sei dies aber nicht relevant, da das Kundenreaktionsmanagement eine eigene organisatorische Einheit außerhalb der Leistungssachbearbeitung und Arbeitsvermittlung bilde. Das Kundenreaktionsmanagement besteht in dieser Form allerdings nur für die Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft mit der BA. Für rein kommunal verwaltete Jobcenter „liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.“

Reaktion statt Prävention?

Als zusätzliche Wege, wie Betroffene sich gegen mögliche Fälle von Diskriminierung wehren können, nennt die Bundesregierung das Einreichen formloser Beschwerden, Widersprüche gegen Entscheidungen per Verwaltungsakt und letztlich Klageverfahren vor einem Sozialgericht. Widersprüche und Klagen sind zwar oft erfolgreich, aber für die Betroffenen mit großem zeitlichen und bürokratischen Aufwand verbunden. Sie setzen außerdem voraus, dass die Betroffenen vollständig über ihre Rechte informiert sind und in der Lage sind, diese gegenüber der Verwaltung, die ihre Existenz sichern soll, geltend zu machen.

In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass laut Antwort der Bundesregierung zwischen 2013 und 2019 bislang nur 31 Beschwerden aufgrund von Diskriminierung beim Kundenreaktionsmanagement dokumentiert wurden. Nur einer dieser Fälle wurde im Jahr 2013 als „begründet“ abgeschlossen. Obwohl Diskriminierung in Jobcentern und Arbeitsagentur in der Wahrnehmung der Kunden ein Problem darstellt, findet sie laut der Dokumentation des Kundenreaktionsmanagements quasi überhaupt nicht statt.

von Lena Becher



Zum Weiterlesen:

Diskriminierung in Jobcentern – Risiken, Erfahrungen, Abwehr, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jessica Tatti, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, 24.06.2019, BT-Drs. 19/10139.